Knapp zwei Jahre ist mein eigener zeitweise stationärer, und dann in die Tagesklinik übergehender Psychiatrieaufenthalt jetzt her. Viel hat sich seither getan, aber da ich in der Klinik immer noch mein Paroxetin-Rezept abhole komme ich dort regelmäßig vorbei – und sehe dort immer wieder bekannte Gesichter unter den Tagesklinik-Patienten, die im Klinikgarten »entspannen«.
Mehrmals in der Tagesklinik – warum eigentlich?
Schon während meiner Zeit dort, schreckten mich die Horrorgeschichten einiger Mitpatienten, die schon zum dritten, vierten, fünften Mal dort ihr Programm abspulten.
Da stellt man sich dann schon die Frage, ob das denn überhaupt was bringt – was von eben diesen Wiederholungstätern auch vehement abgestritten wird.
Allerdings fiel mir schon sehr schnell auf, mit welch absonderlicher Einstellung die große Masse der Mitpatienten das ganze anging.
Wie läuft eine Tagesklinik-Behandlung bei Angsterkrankungen ab?
Für all jene, die damit noch nicht in Berührung kamen, muss man zunächst mal erklären wie das ganze abläuft. Von Montag bis Freitag gilt ein Stundenplan, mit verschiedenen Programmpunkten, bzw. »Fächern«, und zusätzlich gibt es Einzelgespräche, sowohl im festen Turnus, auch als ganz nach Bedarf.
Glücklicherweise habe ich noch einen Originalplan, von meinem Klinikaufenthalt, von dem ich hier mal beispielhaft den Dienstag einfüge:
- 8:00 – 9:00 – gemeinsames Frühstück
- 9:00 – 9:45 – Spaziergang mit der Gruppe (Walking)
- 10:00 – 11:15 – Psychoedukation – hier lernt man Themen wie Stressbewältigung etc.
- 11:15 -12:15 – Mittagessen
- 12:30 – 14:00 – Problemlösungstraining
- 14:15 – 15:30 – Körpertherapie (Traumreisen, einfache Gymnastik etc.)
Wie soll es funktionieren, wenn man sich die Rosinen rauspickt
Dummerweise ist es ziemlich einfach, sich als Patient nur die Dinge rauszupicken, auf die man Lust hat. Womit natürlich ganz schnell jedweder Erfolg unmöglich wird.
Die Psychologen und Psychiater, die die Pläne und Programme für Tagesklinikpatienten erarbeiten, die denken sich dabei ja etwas. Vom gemeinsamen Spaziergang über Körper-und Ergotherapie, bis hin zur Psychoedukation und Rollenspielen haben all diese Programmpunkte ihre Berechtigung und Bedeutung.
Backe, Backe Kuchen – Eier und Salz, das gibt keinen Kuchen!
So wie ein Kuchen bei dem ich wichtige Zutaten weg lasse, oder ein IKEA-Regal, bei dem ich nur die Hälfte der Bauteile nutzen will nichts werden, so wenig bringt ein Klinikaufenthalt etwas, bei dem ich entscheidende Bausteine der Behandlung einfach ausklammere.
Träge, faul und verbohrt – so sind leider viele Angstpatienten
Ich habe in meiner 10-wöchigen Klinikzeit nur 3 Mitpatienten quer durch alle Gruppen kennengelernt, denen ich zutraue dort nicht wieder aufzuschlagen. Weil sie die Tagesklinik als das begriffen haben, was es ist: eine Auszeit um sich und seine Probleme kennen- und verstehen zu lernen, und das Fundament für einen Weg raus aus der Angst zu gründen.
Der Rest der Patienten hatte »keine Lust auf Sport« – wobei Sport jegliche Bewegung umfasst die über das führen der Zigarette zum Mund hinaus geht – oder gaben in der Stressbewältigung so vielsagende Aussagen von sich wie »warum soll ich mich denn ändern, die anderen können sich doch auch ändern«.
Viele Angstpatienten – das gilt ja ähnlich z.B. auch für stark übergewichtige, Menschen mit Rückenleiden etc. – wollen einfach nicht begreifen, dass die Art und Weise wie sie bisher gelebt haben, sich verhalten und reagiert haben, sie zu dem angstbeladenen Wesen gemacht haben, das sich in die Tagesklinik flüchtet.
Eine Therapie erfordert Mitwirkung
Ich war zum Zeitpunkt als ich in die Klinik eingeliefert wurde dermaßen von Ängsten und Zwangsgedanken zerfressen, dass ich tränenüberströmt meiner Frau gestehen musste mich nicht mehr in unsere Wohnung zu trauen, aus der Angst heraus mich vom Balkon zu stürzen. Das geht über das Maß an Angst das viele Mitpatienten erlebt hatte so weit hinaus, dass ich daher vielleicht einen so großen Leidensdruck verspürte, dass ich das alles unbedingt wieder in den Griff kriegen wollte.
Daher lief ich schon nach 3 Tagen das erste Mal – für mich eine unglaubliche Herausforderung zu diesem Zeitpunkt – die 50m vom Haupt- zum Nebeneingang der Klinik wieder auf der Straße. Und dann jeden Tag ein bisschen mehr.
Jede Information wie ich meine Ängste in den Griff kriegen kann verschlang ich. Die Unterrichtsmaterialien wurden Abends nochmal durchgearbeitet. Die Ursachen und Wirkprinzipien versuchte ich zu verstehen, um zu begreifen, dass meine Ängste irrational und die körperlichen Auswirkungen eine extreme Überreaktion ohne echte Folgen bleiben.
Trainingslager Psychiatrie
Ich habe das ganze also wie eine Mischung aus Fortbildung und Trainingslager wahrgenommen. Und interessanterweise hatten die Mitpatienten die echte Fortschritte machten die selbe Sicht der Dinge.
Patienten die sich immer als Sonderfälle betrachteten, gegen jede physiologische Wahrscheinlichkeit rund um die Uhr maximale Panik empfanden – außer wenn sie gemeinsam mit anderen in der Raucherecke über die unfähigen Psychiater und Ärzte schimpften – und für die keine der Erkenntnisse der Forschung Anwendung fanden konnte, die gingen wie sie gekommen waren. Und konnten sich den nächsten Termin eigentlich gleich schon eintragen …
Ohne die eigene Mitwirkung geht gar nichts
Man kann also zusammenfassend sagen, dass die meisten Patienten die wegen einer Angsterkrankung mehrfach in eine Klinik müssen schlicht zu wenig mitwirken.
Eine Angsterkrankung ist nun mal kein Geschwür, das der kundige Chirurg herausschneidet und vor dem man dann Ruhe hat. Eine Angsterkrankung resultiert aus einem über einen langen Zeitraum manifestierten Fehlverhalten, dem falschen Umgang mit Stress, Problemen, Herausforderungen, fehlendem Selbstvertrauen – welches man aufbauen kann – und falschen Maßstäben die man an sich und andere anlegt.
Das kann man nicht von einem Tag auf den anderen ablegen, man kann und muss aber von einem Tag auf den anderen damit ANFANGEN!
Vor allem aber kann NIEMAND anderes diese Dinge für einen korrigieren. Psychologen, Psychiater und andere Ärzte fungieren hier nur als Coaches, und helfen z.B. mit begleitender Medikation um überhaupt eine Therapie möglich zu machen.
Die meiste Arbeit hat man immer noch selbst! Man muss sie nur in Angriff nehmen!